Im ersten Teil habe ich unsere Gründe für einen Alltag ohne Kindergarten genannt. Unsere Mädels sind 5 und 2 Jahre alt. Jetzt möchte ich dir einen Einblick in unseren kitafreien Alltag geben.
Ich habe es mir anstrengend vorgestellt und das ist es auch. Es ist kein Spaziergang. Gerade bei mehr als einem Kind. Wird sich gestritten, werden Jacken angezogen und es geht raus. Aber bis alle angezogen sind, vergehen gefühlt Stunden. Aufräumen funktioniert auch nicht mehr in dem Tempo, in dem ich es gewohnt bin. Es ist also alles sehr entschleunigt.
Ein gutes Netzwerk ist von Vorteil
Omas, Opas, Onkels oder Tanten, die auch mal unterstützen können, sind eine große Hilfe. Es geht auch ohne, aber es ist vormittags laut und anstrengend und manchmal braucht man Zeit zum Abschalten. Bei uns kommt einmal die Woche oder alle zwei Wochen die Oma. Einmal im Monat ist Mia für ein Wochenende bei ihr. Ich habe mich nebenbei selbstständig gemacht. Da ich lieber vormittags arbeite, habe ich mich zusätzlich noch auf die Suche nach einer Leihoma gemacht. Wir sind also nicht gänzlich gegen die Fremdbetreuung. Mehr dazu kannst du hier nachlesen.
Mit Vorurteilen aufräumen
Die kitafreie Zeit ist neben den ganzen Abstrichen, die man hat, überwiegend wahnsinnig schön. Wir schlafen aus und kuscheln morgens ganz lange. Wir bereiten das Frühstück und die Lunchboxen zu, gehen dann in den Wald oder fahren irgendwohin. Mittags und abends werden die Spieltreffen und Hobbies abgearbeitet. An Sozialkontakten mangelt es nicht. Mia ist sehr gesellig und geht auf fremde Kinder, egal welchen Alters, zu und fragt, ob sie mitspielen darf. Dazu kann sie bereits flüssig lesen und in Großbuchstaben schreiben. Sie kann immer das tun, was sie gerade interessiert. Mia ist nicht gezwungen im Stuhlkreis zu sitzen, obwohl sie lieber draußen im Sandkasten wäre. Auch frühes Aufstehen bereitet uns, wenn wir Termine haben, keine Probleme. Wir leben nicht nur Kindergartenfrei, sondern auch stressfrei. Mit Eintritt ins Schulsystem werden wir nie wieder so viel Zeit füreinander haben, wie jetzt gerade.

Die Kindergartenfrei-Sekte
Wir haben uns auch eine Zeitlang vormittags mit anderen kitafreien Familien getroffen, die wir über facebook in diversen Gruppen fanden. Hier hat es nur bei zwei Familien richtig gefunkt. Vielleicht auch, weil von der kitafreien Überzeugung, sobald die Kinder 3 Jahre alt werden, nicht mehr viel übrig ist. Meistens wegen der Finanzen oder fehlender Sozialkontakte. Generell spaltet sich die Kindergartenfrei-Community auch nochmal bei dem Thema Fremdbetreuung. Es gibt auch Vollblutmütter, die die komplette Fremdbetreuung (auch Omas oder Tanten) für falsch halten. Ich denke, dass es, wenn das Kind es möchte, eine Erweiterung des Horizontes ist, andere Haushalts- und Familienstrukturen kennenzulernen.
Ich lese aber auch oft von Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen möchten, aber es finanziell nicht möglich ist. Manchmal grätschen auch Partner und/oder Familie mit ihren Überredungskünsten dazwischen. Das heißt, dass es schon interne Familienkonflikte gibt. Wir haben uns dann mit den Familien vernetzt, bei denen Freilernen auch eine Option ist. Diese Entscheidung wurde harmonisch innerhalb der Familie getroffen.
Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es in der kitafrei-Community schwarze Schafe gibt, wo die Mutter dauerhaft mit 4 Kindern überfordert ist. Und/Oder die Kinder sehr entwicklungsverzögert wirken. Ich habe es auch schon erlebt, dass die Mutter sich nicht dazu berufen fühlt einzugreifen, wenn ihr Kind sich gerade wie ein A… verhält. Dann kommt mir der Gedanke, dass die Kinder im Kindergarten eventuell besser aufgehoben sind. Ich bin nicht der Meinung, aufmunternder Zitate mancher Familienmagazine, dass jede Mutter die beste für ihr eigenes Kind sei.
Unser eigener Anspruch an die Zeit ohne Kindergarten
Ich möchte, dass die Kinder die Zeit sinnvoll nutzen. Das bedeutet für mich auch, dass sie lernen, dass bestimmte Dinge erledigt werden sollten. Sie sind bei der Hausarbeit dabei. Wenn sie zum Beispiel Waffeln essen möchten, dann wird eben vorher die Küche aufgeräumt. Merkt Mia, dass sie keine Hosen mehr im Schrank hat, dann müssen wir welche waschen. Das bedeutet, ich mache die Dinge nicht einfach, um die Illusion vom magischen Wäschekorb aufrechtzuerhalten. Sie sehen, wenn ich das nicht gemacht habe, gibt es jetzt ein Problem. Dieses gilt es dann zu lösen. Ist das Zimmer nicht aufgeräumt, haben Freunde keinen Platz zum Spielen. Bei uns hat alles was erledigt werden MUSS auch einen Grund.
Regeln wie „sitz ordentlich am Tisch“ haben wir nicht, weil sie für mich nicht logisch begründbar sind. Bei uns wird beim Essen gelacht und erzählt, weil essen Spaß machen soll. Feste Essenszeiten gibt es bei uns nicht. Wir essen, wenn wir Hunger haben. So lernen die Kinder, ihr eigenes Körpergefühl wahrzunehmen. Mia frühstückt morgens nicht, weil sie einfach keinen Hunger hat. Sie bereitet aber gerne das Frühstück für die anderen vor oder deckt schonmal den Tisch. Dann geht sie in ihr Zimmer und ich sitze mit Evi allein am Tisch. Das mag der ein oder andere jetzt traurig finden. Für Mia wäre es aber absolute Zeitverschwendung, wenn ich sie dazu nötigen würde, mit am Tisch zu sitzen, während sie in der Zeit viel produktiver sein könnte.

Ohne Kindergarten ein bedürfnisorienterter Alltag
Wenn die Hausarbeit morgens erledigt ist, spielen wir ein paar Gesellschaftsspiele, lesen oder gehen direkt raus. Das gemeinsame Spielen von Gesellschaftsspielen, finde ich sehr wichtig, da so Regeln und Geduld gelernt werden. Alles ist aber kein Muss. Bedürfnisorientiert heißt bei uns auch nicht nur die Bedürfnisse der Kinder zu beachten, sondern auch die der Erwachsenen. Wenn ich jetzt keine Lust habe ein Buch zum fünften Mal vorzulesen, dann sage ich auch: „Ich habe jetzt keine Lust mehr. Ich brauche eine Pause.“
Unser erster Grundsatz bei der kitafreien Zeit, ist die Zeit sinnvoll zu nutzen. Das bedeutet jetzt nicht durchgehend Entertainmentprogramm zu bieten, sondern die Kinder eben auch mit ihrem Krempel spielen zu lassen. Sie können die Zeit sinnvoll gestalten und mit ihren eigenen kreativen Ideen füllen. Die Kinder möchten nicht rausgehen, weil jedes gerade an seinem eigenen Projekt arbeitet. Ja, ich sehe auch spielen als Arbeitsprozess an, weil es für die Kinder genauso wichtig ist. Dann ist das in Ordnung und wir verabreden einen späteren Zeitpunkt.
Ohne Kindergarten leben – ein privilegierter Traum?
Ja, würde ich definitiv sagen. Zum einen der finanzielle Aspekt. Zwar hängt das auch immer davon ab, wie abhängig man sich selbst gemacht hat: Hauskredit, Autokredit, private Versicherungen, Konsumschulden. Wie man generell dazu neigt, das Gefühl zu haben, neue Dinge zu brauchen oder das Kulturbedürfnis zu stillen. Und genau dort scheiden sich die Geister. „Wenn man etwas wirklich will, dann kann man das auch schaffen.“ Dieser Aussage stimme ich generell zu. Es erfordert jedoch eine Menge Kraft und Mut. Der Worst Case ist der alleinerziehende Elternteil, bei dem der Ex-Partner gegen ein kitafreies Leben ist und dann auch noch das Jugendamt eingeschaltet wird. Also, hier würde ich schon sagen, dass es schier unmöglich ist, sich da durchzuboxen und aus dem System auszuklinken. Also ist auch eine stabile Partnerschaft ein Privileg.
Mombashing, Selbstreflexion und Missionieren
Ich finde es wichtig, dass die kitafreien Leute andere nicht dafür verurteilen, dass sie ihre Kinder in den Kindergarten oder die Krippe bringen. Eigentlich freue ich mich jedes Mal auf die Reaktionen der Leute, wenn sie erfahren, dass die Mädels ohne Kindergarten aufwachsen. Wenn ich komisch angeguckt werde, weil ich das erzähle, triggert mich das nicht. Mit meiner Entscheidung bin ich absolut im Reinen. Ich sage dann zum Beispiel „Nein, die gehen nicht in den Kindergarten. Ich bin noch zu Hause und wir haben keinen passenden Kindergarten gefunden.“
Das Anti-System-Gelaber fange ich gar nicht erst an, weil es evtl. dazu führen könnte, dass das Gegenüber sich schlecht fühlt. Ich bin nicht als Missionarin, für das Leben ohne Fremdbetreuung, unterwegs. Ich habe auch nicht das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen. Und so wäre in dem Moment keinem geholfen. Sonst würde ich sagen:“ Ich finde es furchtbar, dass suggeriert wird, gib dein Kind ab, dann entwickelt es sich besser. Ich finde es furchtbar, dass Erzieherinnen mit diesem miesen Betreuungsschlüssel arbeiten müssen. Ich finde es furchtbar, dass es finanziell nicht möglich gemacht wird, Kinder länger zu Hause zu betreuen. Bis jedes individuell bereit ist fremdbetreut zu werden.“ Bisher konnte ich aber noch niemanden finden, der sich auf eine richtige Diskussion einließ.
Das verdrängte schlechte Gefühl
Wenn dich diese Aussagen triggern, weil dein eigenes Kind den Kindergarten besucht, dort unglücklich ist und du dich jetzt wie schlechter Elternteil fühlst, tut es mir leid. Der Artikel spiegelt meine persönlichen Ansichten wider und ich bin der Meinung, dass wir unsere Stimme zu wenig erheben. Nicht nur unsere innere Stimme zu oft ignorieren, sondern auch die der Kinder.
Ich teile die vergangenen Ereignisse (Teil 1), für die ich mich selbst verurteile, um Mütter zu bestärken auf ihre innere Stimme zu hören. Ich will die Stimme für dich sein, die ich damals gebraucht hätte, als ich mein Kind im Stich ließ. Es ist das Allerwichtigste, dass dein Kind dir vertrauen kann. Du bist seine ganze Welt.
Je nachdem wie wir aufwachsen, kann unsere innere Stimme sehr, sehr leise sein. Je nachdem wie unser näheres Umfeld (Familie, Partner, Freunde) aussieht, wird sie übertönt werden von lauteren Stimmen. Manchmal brauchen Kinder einfach eine Auszeit. Wenn sie sich erholt haben, kann auch der normale Tagesbetrieb wieder laufen. Wenn dem nicht so ist, dann stimmt etwas nicht. Nimm es ernst. Kinder lernen sonst nur ihre Gefühle zu unterdrücken. Werden später unglücklich in Scheißjobs arbeiten, weil sie denken, da müssten sie durch.
Wenn deine Gedanken nicht in dieses System passen und du das Gefühl hast permanent anzuecken, dann passt das System nicht zu dir. Ein Ausstieg ist möglich. Er kann große Hürden mit sich bringen und Nächte der Verzweiflung. Ist das aber erstmal überwunden, willst du wahrscheinlich nicht mehr zurück.
